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Heribert Prantl in Süddeutsche Zeitung, 31.10.2005 Ein Vorbild für unbequeme Juristen Es gibt Leute, die setzen sich, wenn sie alt geworden sind, in den Sessel und denken über sich, Gott, die Welt und den Staat nach. Heinrich Hannover hat das schon sein ganzes Leben lang gemacht. Und er hat nicht nur nachgedacht, sondern seine Überzeugung nachhaltig und beredt vertreten. Als einer der großen Rechtsanwälte dieses Landes schrieb er Justizgeschichte, immer auf der Seite der Minderheiten; er hat für die Meinungs-, die Demonstrations- und die Gewissensfreiheit gefochten. Er blieb bis heute, was Otto Schily einmal war: kompromißloser Verfechter der Grundfreiheiten und Justizkritiker. Einst hat Hannover zusammen mit Schily RAF-Angeklagte verteidigt. Er hat nicht nur die Erkenntnisse eines Strafverteidigers und homo politicus in Büchern über die Justiz der Weimarer Republik und die der Bundesrepublik niedergelegt. Er schrieb ein Dutzend Kinderbücher, die als Zubettgeschichten für seine sechs Kinder entstanden: „Das Pferd Huppdiwupp“ war die erste der Geschichten. Hannover wurde mit 17 Soldat, kam als Pazifist zurück, wurde Rechtsanwalt in Bremen. Kaum hatte er als junger Anwalt Kontakt zu einem wichtigen Großkunden, dem Haus- und Grundbesitzerverein aufgenommen, wurde ihm, kurz nach der Anwaltszulassung, die Pflichtverteidigung eines Kommunisten angetragen. Weil er dieses Mandat mit dem nötigen Engagement durchführte, bewahrheitete sich für ihn die Feststellung des Soziiologen Otto Kirchheimer: „Die Beziehungen, die ein Anwalt zum Beginn seiner Tätigkeit mit einer bestimmten Kundschaft aufnimmt, können seine künftige Praxis beeinflussen.“ Sätze wie „Staatsfeinde brauchen keine Verteidiger“, die damals in der Diskussion üblich waren, forderten Hannover zu sorgfältiger juristischer Arbeit heraus. Er wurde bekannt als akkurater Verteidiger der Demonstranten gegen die Wiederbewaffnung, die Notstandsgesetze und die Nachrüstung der achtziger Jahre. Seine Analysen über die Rechtsbeugung in der Weimarer Republik waren bahnbrechend. Mit Zähigkeit spürte er den Untaten der NS-Richter nach. „Die Rübe muss runter, der Gauleiter erwartet es“. Er akzeptierte das Verständnis nicht, das die Nachkriegsjustiz mit Nazi-Richtern hatte, die so geredet hatten. Juristen, die sich nicht dem Anpassungszwang fügen wollen, haben in ihm ein Vorbild. Heute wird Heinrich Hannover, der Juristenaufklärer, achtzig Jahre alt.
Willi Winkler Der Links-Verteidiger Heinrich Hannover, Anwalt in der jungen BRD, im Filmporträt Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet fast 150 Titel des Autors Heinrich Hannover, viele Neuauflagen darunter, aber nur die wenigsten Bücher sind aus dem Berufsleben des Strafverteidigers geschöpft, die meisten, selbst Der müde Polizist, sind arglose Kinderbücher. Manchmal, so erzählt Hannover in dem kleinen Porträt-Film Die Republik vor Gericht von Bernd Reufels und Micha Bojanowski, hätten ihn Schöffen nach der Verhandlung beiseite genommen und dem berühmten Schriftsteller um ein Autogramm fürs Buch gebeten. Schriftsteller, Künstler hätte das verschlossene Kind werden können und hätte seine Eltern stolz gemacht, seinen Vater zumal, der sich ein Haus mit dem schönen, weltabweisenden Namen „Noli me tangere“ bauen ließ, dann aber in die NSDAP eintrat, wie es sich im pommerschen Anklam für einen wichtigen Arzt gehörte, und seinen Sohn ermunterte, mit der neuen Zeit zu gehen. Familienfilme zeigen ihn beim Kinderspiel, auf alten Fotos marschiert er bei der Hitlerjugend und bald in den Krieg. Als er zurückkommt, haben sich seine Eltern aus Angst vor den Russen vergiftet. Der ehemalige Soldat Hannover wollte Forstwirt werden, dann reich und gutbürgerlich mit den Mandanten, die eine Patrizierstadt wie Bremen zuhauf bot. Aber schon sein erstes Pflichtmandat, als er einen arbeitslosen Angeklagten vergeblich gegen die falschen Anschuldigungen von Polizisten verteidigte, brachte ihn um die erhofften Reichtümer. Hannover vertrat in den folgenden Jahrzehnten Kriegsdienstverweigerer, Friedensmarschierer und Terroristen, aber auch den Finanzberater Bolko Hoffmann, der sich mit den Großbanken angelegt hatte. Er versuchte eine Wiederaufnahme des Thälmann-Prozesses und verteidigte Günter Wallraff, der sich als Pförtner beim Gerling-Konzern eingeschlichen hatte. Wallraff sagt heute, mit Hannover sei es „eine Freude gewesen, vor Gericht zu stehen“. Hannover ist es schließlich zu verdanken, dass Karl-Heinz Roth und Astrid Proll vom Mordvorwurf freigesprochen wurden, in den sie wiederum ein falsches Zeugnis von Polizisten gebracht hatte. Auch seine Niederlagen sind angedeutet, das Ehrengerichtsverfahren, das er sich einhandelte, und wie selbst seine Familie bedrängt wurde. Staunend erfährt man, dass Hannover 1954 sein Referendariat mit einem anderen Juristen aus Mitteldeutschland begann, mit Hans-Dietrich Genscher, der als Innenminister für die Verfolgung jener Terroristen zuständig war, die Hannover dann vor Gericht vertrat. Und sogar Otto Schily, der sonst so dröhnend schweigt, wenn es um die siebziger Jahre und seine eigene wortgewaltigen Verteidigung beim RAF-Prozeß in Stammheim geht, läßt sich zu ein paar freundschaftlichen Worten herab: „Solche couragierten Verteidiger sind notwendig in einem Rechtsstaat.“ Vielleicht gibt es sie ja noch heute. Wer daran zweifelt, könnte die politische Geschichte der Nachkriegszeit in den zweibändigen Erinnerungen Hannovers nachlesen, die im Aufbau-Verlag erschienen sind. Süddeutsche Zeitung, 30.10.2007
OttoKöhler Drei Freunde Zum 80. Geburtstag Aus dem Rechtsanwalt Heinrich Hannover ist nie etwas Rechtes geworden Drei Freunde waren sie einst – jedenfalls gute Kollegen auf den Verteidigerbänken dieser Republik. Jetzt ist der älteste 80 und im Gegensatz zu den beiden anderen nichts Rechtes geworden: Heinrich Hannover, seit einem halben Jahrhundert Rechtsanwalt in Bremen. Viel hat dagegen der sieben Jahre jüngere aus sich gemacht, der ehemalige Terroristenanwalt Otto Schily. Er hat sich entwickelt und wurde soeben – als verdiente Krönung eines rundum erfüllten Lebens – mit dem angesehenen Big-Brother-Award ausgezeichnet. Mit dem Jüngsten von den Dreien hatte Hannover 1977 im Mescalero-Prozeß für die Freiheit des Wortes plädiert. „Werter Gerhard Schröder“, schrieb Hannover 1999, „ich denke, Du wirst Dich an mich aus gemeinsamer Verteidigertätigkeit in politischen Strafsachen und auch sonst erinnern“. Und er erinnerte ihn, als hätte der Kanzler zum zehnjährigen Jahrestag der Wende nichts Besseres zu tun, an „die noch lebenden Opfer des Kalten Krieges, die, wie Du weißt, nicht nur in der DDR, sondern auch in der alten Bundesrepublik produziert worden sind“. Die Opfer sollten, so bedrängte den alten Kollegen, zum Jubiläum der Einheit „rehabilitiert und entschädigt werden“. Der Kanzler ließ den lästigen Ex-Kollegen, der sich auch noch auf die „Kenntnis Deiner damaligen Haltung“ berufen hatte, kalt abfahren und durch einen Ministerialrat Ernst H. Hüper bescheiden, dass die „Strafverfahren, die Sie im Auge haben, unstreitig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt worden sind“. Nein, nichts hat Heinrich Hannover dazugelernt in seinen 50 Anwaltsjahren. Nichts von dem jedenfalls, was Schröder und Schily so eindrucksvoll umzusetzen wußten. Dabei hatte alles so hoffnungsfroh begonnen. Erfolgreicher Wirtschaftsanwalt in Bremen wollte der junge Heinrich Hannover werden. Und dann das: Wenige Wochen nach seiner Zulassung als Anwalt im Oktober 1954 wurde er vom Gericht zum Pflichtverteidiger eines Kommunisten bestellt, der die üblichen Verbrechen begangen hatte: Landfriedensbruch, Aufruhr und Auflauf, Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte Gefangenenbefreeiung. Der Kommunist hatte an einer Arbeitslosendemonstration teilgenommen, war zweimal von einem Polizisten grundlos geschlagen worden, ein Auge erlitt Dauerschaden. Der junge unerfahrene Hannover ging an diesen Fall heran, als handele es sich bei einem Kommunisten um einen normalen Bürger. Was ihm, dem Pflichtverteidiger, in diesem Prozeß widerfuhr, das zeichnete ihn fürs Leben. Die hierzulande übliche „Rechtlosstellung von Kommunisten“ verletzte sein Rechtsgefühl. Mehr und mehr drängte sich eine meist nicht sehr zahlungsfähige Klientel in seine Kanzlei: die deutschen Linken. Und er brachte die vors Gericht, die Linke zu Opfern gemacht hatten, 1985 den SS- Stabscharführer Wolfgang Otto, den Mörder von Ernst Thälmann. Aber auf die bundesdeutsche Justiz war Verlass: der SS-Mann, der in Buchenwald etwa 200 Menschen umgebracht hatte, wurde bis hinauf zum Bundesgerichtshof freigesprochen, wie es sich gehört. Auch sein größter Prozeß endete mit einer Niederlage. Und mit einem Rufmord an der Bundesrepublik Deutschland, veranstaltet vom Kammergericht in Westberlin. Dort hatte er 1988 für Carl von Ossietzky das Wiederaufnahmeverfahren betrieben – 1931 hatte den ein durch und durch befangenes Reichsgericht in Leipzig wegen Landesverrats verurteilt, weil seine Weltbühne über Deutschlands illegale Wiederaufrüstung berichtet hatte. Hannover stieß dabei auf den Berliner Kammergerichtsrat Egbert Weiß, dessen realen Existenzmöglichkeit in diesem Land unendlich viel über das Funktionieren der bundesdeutschen Justiz verrät. Weiß war 1968 mitbeteilgt am Freispruch des Freisler-Beisitzers beim Volksgerichtshof, Hans-Joachim Rehse, der an mindestens 231 Todesurteilen beteiligt war. Sein Kammergericht lehnte Hannovers Wiederaufnahmeantrag für Ossietzky ab. Was schließlich auch der Bundesgerichtshof – 1992 – feierlich bestätigte unter Berufung auf eine „besondere Treuepflicht“ zum „Vaterland“. Es war nur eine von vielen Niederlagen, die Heinrich Hannover in seinem langen Juristenleben errungen hat, Siege zugleich, weil sie diesen Staat zwangen, sich kenntlich zu machen. Wir schulden Heinrich Hannover Dank, dass er nie davon abließ, dieses Land in einen anderen Ruf zu bringen als den, den es hat. Freitag, 4.11.2005
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