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Heinrich Hannover

Unvergessene Anklamer Lehrer

O ja, es gibt einige, an die man sich noch als 92jähriger erinnert. Angefangen mit Hubert Rohde, der uns Kindern im Jahr 1932 am allerersten Schultag, während draußen die Mütter oder Großmütter warteten, die Geschichte von Heiner im Storchennest mit vielen Gesten erzählte. In der Vorweihnachtszeit brachte er seine Violine mit und spielte unter den brennenden Kerzen des Adventskranzes zu unserem Gesang Weihnachtslieder. Auch im Lilienthalgymnasium, das damals Oberschule genannt wurde, oblag ihm zeitweise der Musikunterricht, bei dem er uns auch Musik des von der Naziobrigkeit verfemten jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy hören ließ. Freilich mit dem damals erwarteten opportunistischen Kommentar, der uns immerhin nachdenklich machte.

Auch Gustav Grube, den wir in der Terminologie seiner Frau „Liebes“ nannten, möchte ich erwähnen, für dessen Physikunterricht manchmal eine Zigarre, deren Rauch zu Demonstrationszwecken gebraucht wurde, von einem Schüler bei seiner Frau geholt werden musste. Er hatte das unverdiente Schicksal, von der sowjetischen Besatzungsmacht mit dem im selben Hause wohnenden, als Nazi bekannten Rektor verwechselt zu werden und in einem Gefangenenlager zu sterben.

Auch Dr. Rasmus, bei dem wir Biologie und Sport hatten, nahm ein schlimmes Ende. Nachdem seine Tochter von russischen Soldaten vergewaltigt worden war, haben sie und er den Freitod gewählt. Er gehörte zu den Lehrern, die wir liebten, weil sein Sportunterricht oft darin bestand, dass er uns auf dem Schulhof Fußball spielen ließ, ohne sich einzumischen. Auch seine Vorliebe für alkoholische Getränle, die wohl zu seiner Großzügigkeit beitrug, fanden wir sympathisch. Wenn er zeitweise als stellvertretender Rektor fungierte, versäumte er nie, uns „hitzefrei“ zu geben, wenn das Thermometer 25 Grad erreicht hatte.

Einige Lehrer der Oberschule möchte ich lieber in der Vergessenheit lassen. Darunter einen, der als Kreispropagandaleiter der NSDAP wirkte und uns ideologisch auf die Rolle von Kriegshelden vorbereitete. Mit seinem eigenen Heldentum war es nicht weit her. Er berief sich auf mangelnde Sehschärfe und machte sich in seiner Rolle als Parteibonze für den Kriegsdienst unabkömmlich. Anders als der harmlose Gustav Grube flüchtete er mit der ganzen faschistischen Obrigkeit der Stadt rechtzeitig vor der Roten Armee in den Westen, wo er es in Süddeutschland zum Schulleiter brachte.

Aber es gab auch in Anklam Lehrer, die für künftige Demokraten vorbildlich waren. Besonders eindrucksvoll Dr. Theodor Eichhoff, der in seinen Unterricht Spuren seiner antifaschistischen Gesinnung einbrachte, die uns Jungen damals gar nicht als solche auffielen, aber bei mir und sicher auch bei anderen Klassenkameraden lebenslang gewirkt haben. So hatte er den Mut, uns über Napoleons russischen Feldzug von 1812, der mit einer katastrophalen Niederlage der grande armee endete, eine so plastische Schilderung zu bieten, dass sich Vergleiche mit dem Scheitern der Hitler-Wehrmacht und den unzähligen Soldaten, die auf beiden Seiten ihr Leben verloren, anboten. Eichhoff zitierte auch die französische Presse von 1812, die nicht von den ungeheuren Verlusten und Leiden der Soldaten, sondern von der gesunden Heimkehr des Kaisers Napoleon berichtete. Ich habe erst später begriffen, welche aktuellen Vergleiche uns Dr.Eichhoff nahebringen wollte.

Es war schon eine Kühnheit, den Englischunterricht in unserer Klasse mit dem Text der englischen Nationalhymne zu beginnen. Wir in der Hitler-Jugend auf Nazigeist getrimmten Jungen widersprachen denn auch, als Dr. Eichhoff uns auch den Text eines englischen Heldenliedes beibringen wollte, in dem es hieß: „Es ist unser Bestreben in der Schlacht und im Sturm, dass England immer Beherrscher der Meere sein soll“. Wir konfrontierten unseren Lehrer mit einer Version, in der es hieß, dass „Germany shall ever be Lord of the seas“. Er regte sich furchtbar über seine vorwitzigen Schüler auf, was für ihn nicht ungefährlich war, wenn ihn einer denunziert hätte. Aber das brauchte er nicht zu befürchten, weil wir ihn alle mochten.

Ich habe nach dem Krieg, als Dr. Eichhoff als politisch unbelasteter Lehrer zum Rektor der Schule ernannt wurde, mit ihm korrespondiert und ihn auch persönlich besucht. Daher weiß ich, dass er eine Philosophie pflegte, die wohl ohne Gott auskam. Das mag für ihn zum Problem geworden sein, als er einmal an die Reihe kam, den Gottesdienst zu gestalten, zu dem an jedem Montagmorgen alle Schüler und Lehrer in der Aula versammelt wurden. Aber er fand eine Lösung. Er machte den lieben Gott zu einer Märchengestalt, indem er das Grimm’sche Märchen vom Schneider im Himmel mit geistvoller Ironie referierte.

Die Montagsgotttesdienste wurden übrigens abgeschafft, nachdem die Naziobrigkeit Direktor Jagusch vorzeitig in den Ruhestand geschickt hatte, weil er in der Zeit vor Hitler Freimaurer, also Anhänger einer menschenfreundlichen Geisteshaltung gewesen war, für die es im Nazistaat keinen Platz gab. Jagusch, um auch diesem Lehrer ein Denkmal zu setzen, war ein gemütlicher Herr, der sich von uns listigen Buben regelmäßig durch geheucheltes Interesse an seinen Erlebnissen im ersten Weltkrieg zum Erzählen verführen ließ, statt unser Wissen in Geographie zu vermehren und abzufragen. Sympathisch fand ich auch seine Liebe zur plattdeutschen Sprache. Er sorgte dafür, dass die ganze Schülerschaft zu Veranstaltungen in der Aula versammelt wurde, bei denen auf seine Veranlassung etwa ein Glasbläser seine Kunst vorführte oder ein Rezitator plattdeutsche Gedichte von Fritz Reuter vortrug, die Jagusch schmunzelnd auswählte.

Aber noch einmal zurück zu Dr. Eichhoff. Von meinem Freund und Klassenkamerd Peter Lachmund erfuhr ich nach dem Krieg, dass seine Eltern von Eichhoff regelmäßig die Times bekamen, die dieser abonniert hatte, nachdem er die Naziobrigkeit überzeugen konnte, dass er als Englischlehrer eine englische Zeitung lesen müsse. So bildete Eichhoff zusammen mit den Lachmunds und vielleicht auch noch anderen Anklamern eine kleine bestens informierte Widerstandsgruppe. An Margarete Lachmund erinnert heute eine Gedenktafel vor dem Wohnhaus der Familie Lachmund in der Baustraße. Auch Theodor Eichhoff, der in der Demminer Straße wohnte, würde eine Gedenktafel verdienen.

Im Internet findet man unter dem Namen Theodor Eichhoff einige Hinweise auf seine wissenschaftlichen Werke, die vorwiegend der englischen Literatur galten, insbesondere Shakespeare und Keats. Mir schenkte er einmal einen mit einer persönlichen Widmung versehenen Sonderdruck seines Textes „Die Mängel der Shakespeare-Überlieferung, erläutert an der Gerichtsszene des ‚Kaufmann von Venedig’“. Zwei weitere Broschüren („Der Weg zu Shakespeare“ und „1. Shakespeare’s Sonette und ihr Wert. 2. Die Sonettensatire“) konnte ich antiquarisch erwerben. Vielleicht finden diese Schriften des Shakespeare-Forschers Theodor Eichhoff eines Tages den Weg ins Archiv des Anklamer Museums im Steintor.

Anklamer Heimatkalender 2019

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